85 Prozent sind nicht genug
Warum der Ratsbeschluss über die Reduzierung der Einleitungen von den Grünen nicht akzeptiert werden kann.
(Gastbeitrag Werner Biehl) Das Problem ist bundesweit bekannt: Direkt neben dem Badestrand werden mehr oder weniger regelmäßig große Mengen sogenannte Mischwasser (7 Teile Regen auf einen Teil Abwasser) direkt in das Weltnaturerbe Wattenmeer eingeleitet, jährlich etwa 400.000 Kubikmeter dieser brisanten Brühe.
Auf Druck der Kaiserlichen Kanalarbeiterinnen und der Grünen konnte die Verwaltung nicht umhin, nach Lösungen für das Problem zu suchen. In diesem Zusammenhang wurden alle Ideen von Instituten, Ingenieurbüros etc. gemessen an den Gutachten eines Prof. Rosenwinkel vom Institut für technisch-wissenschaftliche Hydrologie (itwh), der eine traditionelle Druckrohrleitung vorschlug und eine Trennung der Systeme mit astronomischen 90 Mill. Euro Kosten veranschlagte.
Und so erfolgte dann der neue Ratsbeschluss im März 2011 als Folge eines „Workshops“, in dem scheinbare, z. T. absurde Alternativen vorgestellt wurden. Das Ergebnis ist für die Kenner der Szene keine Überraschung. Die von Prof. Rosenwinkel in seinen Gutachten favorisierte Druckrohrleitung war von Anfang an auch der Favorit der Verwaltung, der der Rat in seiner Mehrheit auch willig folgte.
Gibt es Alternativen?
Ein enthusiastischer Professor aus Hameln, Prof. Dopheide (Foto), seit drei Jahren mit dem Problem beschäftigt, kam mit der Idee, ein Trennsystem zu entwickeln. Aber nicht ein Trennsystem nach dem Prinzip Rosenwinkel, sondern ein Trennsystem intelligenter Art.
Voraussetzung dafür war die Überlegung, dass man die Regenmenge insgesamt zwar schätzen, die Häufigkeit aber und vor allem die Intensität der Niederschläge nicht berechnen kann. Genau zu berechnen ist aber die Menge an Schmutzwasser, die jeden Tag, in jedem Haus anfällt.
Gelänge es nun auf intelligente Art und Weise, für diese Mengen Schmutzwasser (die gewissermaßen stetig fließen) ein System zu installieren, das so schmal ist, dass es per Kunststoffrohr und per Bohrkopf unter dem Pflaster hindurchgeführt werden könnte, hätte man keine aufgerissenen Straßen, könnte das reine Regenwasser aus den Kanaltunneln direkt in die Jade pumpen und hätte eine 250 mm-Kunststoffröhre, durch die das Schmutzwasser mit einer Vielzahl kleinerer Pumpen direkt zur Kläranlage geführt werden könnte.
Das Problem mit dem „first-Flash“ (Schmutzfracht der Gehwege und Straßen, die vom Regen in den ersten 15 Minuten in die Gullys gespült wird) würde durch neue Einsätze in den Gullys erledigt. Auf diese gibt es inzwischen ein Patent. In diesen neuen Einsätzen befindet sich ein Mehrkammersystem, das genau diesen ersten Schmutz auffängt und dann das saubere Regenwasser in die Kanalisation entlässt. Von dort kann es dann über das vorhandene Pumpwerk Süd problemlos in die Jade gepumpt werden – und zwar zu jeder Zeit. Bauzeit: angenommene zwei Jahre; Kosten: unter 10 Millionen.
Die Ideengeber waren sich sicher, dass jedes innovative System, das eine 100-Prozent-Lösung gebracht hätte, eine hohe Förderungswürdigkeit durch Bundes-, Landes- und EU-Mittel erreichen würde. Bedauerlicherweise wurden Prof. Dopheide für genauere Berechnungen nötige Unterlagen – vor allem der Generalentwässerungsplan – durch die Verwaltung zwar versprochen, jedoch vorenthalten.
Mit der Ratsentscheidung im März bleibt nicht nur für den Eingeweihten, sondern auch für die BürgerInnen eine Reihe von Fragen offen. Vordergründig einmal die: Wieso kauft man sich für eine 85 %-Lösung eine neue Druckrohrleitung (DRL) für 13 Millionen Euro? Kosten für Planung wurden bisher nicht genannt. Über mögliche hohe Umbaukosten am Pumpwerk Süd weiß man auch noch nichts. Der Bürger soll in der Folge der Maßnahme mit 35 – 40 Cent / m3 Abwasserkosten belastet werden. Und das Ganze, obwohl es die Chance gibt, deutlich billiger und schneller an eine 100 % – Lösung zu kommen, und zwar eine endgültige Lösung mit Kosten von unter 10 Millionen, mögliche Fördergelder noch gar nicht mitgerechnet.
Eine weitere Alternative liefert ein renommiertes Ingenieurbüro aus Berlin (www.luritec.com). Es benötigt nur die Hälfte der Bauzeit, hat in ihren ersten Kostenberechnungen schon Planungs- und Entwicklungskosten einbezogen und liegt in der Gesamtkalkulation deutlich unter den Kosten der Druckrohrleitung. Sind die Ratsmitglieder wirklich umfassend vor der Abstimmung informiert gewesen? Oder wollte man gar nicht genauere Informationen, sondern das Problem vor der Kommunalwahl einfach vom Tisch haben?
Die Grünen sind mit ihren Aktivitäten im Rat an der großen Mehrheit von 43/45 (auch an der BASU) gescheitert.
Sie werden jedoch weiterhin die notwendigen Fragen formulieren und von der Verwaltung und den „Technischen Betrieben Wilhelmshaven“ Antworten verlangen. Der Südstrand kann und muss zu 100% sauber werden.
Werner Biehl ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen im Rat der Stadt Wilhelmshaven und u.a. Mitglied im Verwaltungsausschuss und im Ausschuss für Finanzen, Wirtschaft, maritime Fragen, Stadtmarketing und Tourismus.
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